Antworten auf die gängisten Fragen
von Ulrich Cimolino, Düsseldorf
Warum sind Leinen auf dem Rücken so gefährlich?
Abb. 1.3.4/2.b aus Atemschutz, 4. Auflage: Fangleinenbeutel als Sicherheitsrisiko. Die Leine lief unbemerkt aus. (Foto: Fischer, Hamburg)
Noch eine unbemerkt auslaufende Leine am Rücken eines FA bei einer völlig anderen Feuerwehr….
Gibt es relevante Schadstoffe an Einsatzstellen (v.a. Brandeinsatz)?
Ja!
Vgl. vfdb-RL 10/01 und 10/03 bzw. die Seiten zu Brandrauchbestandteilen im Einsatzleiterhandbuch, ecomed. Die vorgehenden Trupps sowie die Sicherheitstrupps und auch die Trupps, die im Freien verbleiben, müssen über jeweils adäquate Schutzkleidung sowie Möglichkeiten für den Atemschutz verfügen. Die im Innenangriff sowie in sonstige gefährliche Atmosphäre vorgehenden Trupps tragen dabei immer umluftunabhängigen Atemschutz.
Ist Überdruck (ÜD) für den Pressluftatmer-(PA-)Einsatz immer sicherer, als ein mit Normaldruck (ND) ausgestatteter PA?
ÜD-Technik bläst aus Undichtigkeiten ab, es können daher bei leichten Leckagen erst gar keine Schadstoffe oder Partikel (Ruß) in die Maske gelangen.
ÜD liefert allerdings bei genauer Betrachtung eine Scheinsicherheit (gegen undichte Masken), die im Normaleinsatz m.E. keiner braucht, wenn mit Maske und PA verantwortungsvoll umgegangen wird. Insbesondere ist immer (egal ob ÜD oder ND) eine Maskendichtprobe vor jedem Einsatz erforderlich. (Scheinsicherheit auch deswegen, weil dieses Mehr an Sicherheit für die meisten Feuerwehren durch erhebliche Nachteile im Gesamtsystem erkauft wird.)
Durch den Verlauf der Luftströme im Maskenkörper besteht auch bei ND-Technik eine sehr hohe Sicherheit gegen das Einatmen relevanter Schadstoffmengen. Bei Helmmaskenkombinationen (HMK) mit Zweipunktbefestigung ist ÜD dagegen in jedem Fall erforderlich, um die unweigerlich entstehenden Undichtigkeiten mindestens bei einem Teil der Nutzer auszugleichen.
HMK haben aber außerdem die folgenden Nachteile:
- Bei Stößen oder Schlägen am Helm kann die Maske verrutschen. Dies ist bei einer Maske mit Kopfspinne zwar nicht gänzlich ausgeschlossen (es gibt dazu z.B. Berichte von der Berliner Feuerwehr im Zuge der Einführung der neuen Helme), aber deutlich unwahrscheinlicher.
- Es ist fast unmöglich, eine Kopfschaube unter dem Helm aber über dem Maskenrand zu tragen. Die Kopfschutzhaube unter dem Maskendichtrahmen, wie leider immer wieder gemacht wird, erhöht nur noch mehr die Undichtigkeiten.
- Mit HMK ist das Dekon-Konzept (z.B. im Strahlenschutz) nicht komplett einzuhalten, weil der Helm zusammen mit der Maske abgelegt werden muß.
Hat die ÜD-Technik im „normalen“ Einsatz auch Nachteile?
ÜD bringt im Gesamtsystem „Atemschutz“ für den Normalnutzer keinerlei Vorteile, aber jede Menge Nachteile, da es Probleme beim Tragen von Filtergeräten gibt. Mit ÜD-Masken hat man beim Einsatz von Filtern (es gibt dafür mittlerweile Adapter) einen erhöhten Ein- UND Ausatemwiderstand. Die Feuerwehr in Deutschland ist aber für mehr als nur Mülltonnen- oder Küchenbrände löschen da! Sie trägt auch die Last in der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr mit, die vom Katastrophenschutz an sie übertragen wurde.
Beispiele:
- Bei bestimmten Einsätzen (z.B. Tierseuchenbekämpfung) muß über Stunden im Schadensgebiet gearbeitet werden. Ein Personaltausch nach 20 Minuten (Luft am PA zuende) ist weder sinnvoll noch im Rahmen der effizienten Gefahrenabwehr möglich.
- Der Betrieb von Dekontaminationsanlagen (auch zur Desinfektion) über längere Zeiträume erfordert in der Regel ebenso das stundenlange Tragen von Masken mit Filtern, wie der Einsatz im Bereich großer Brände (im Freien).
- Bei besonderen Schadenslagen kann auch Atemschutz (z.B. Filtergeräte) in größerer Umfang und in größerer Entfernung zur eigentlichen Einsatzstelle erforderlich sein. Daher sollte auf Einsatzfahrzeugen je Fahrzeugsitzplatz mindestens ein Atemanschluß (Maske) mit einem geeigneten Filter (z.B. „Feuerwehrfilter“ = ABEK 2-P3) auf dem Fahrzeug auch verfügbar sein. (Vgl. Abschlußbericht zum Großbrand in Lengerich: Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft NW, 1994.)
Gibt es Veränderungen in der Einsatzzeit der Trupps durch ÜD-Technik?
ÜD kann verkürzte Einsatzzeiten durch abströmende Luft infolge von Undichtheiten verursachen. Das kann nach eigener recht dramatischer Erfahrung unter HMK bei einer Realbrandübung unter dem Feuer in einem Schiff sehr „lehrreich“ und „technikheilsam“ sein… Das Problem ist bei ND schlicht unmöglich.
Problematisch ist nicht nur die Tatsache, dass Luft verloren geht, sondern auch, dass dieser Verlust unberechenbar erfolgt und somit ein geordneter Rückzug nahezu unmöglich wird.
Können Undichtigkeiten an der Maske bei ÜD- oder bei ND-Technik besser bemerkt werden?
Das kann man pauschal nicht beantworten, da das abhängig von der Umgebung (Lautstärke, Atmosphäre) sowie der (gefühlten bzw. erlebten) Situation an der Einsatzstelle ist. Bei ruhiger Umgebung kann man bei ÜD-Technik massive Undichtigkeiten am Geräusch der abströmenden Luft erkennen. Bei lauter Umgebung und Ablenkung durch z.B. anstrengende Tätigkeiten ist dies schwer möglich. Wenn man konzentriert darauf achtet, dafür über ausreichend sensible Gesichtsnerven verfügt und die Umgebung dies zulässt, kann man abströmende Luft je nach Lage der Undichtheit fühlen („Kühle“ bzw. Luftstrom). Eine Garantie besteht nicht. Im ND-Bereich können Schadstoffe teilweise gerochen werden. Vorsicht, es gibt Stoffe, die kann man nicht riechen und es gibt solche, an die sich der Geruchssinn sehr schnell gewöhnt.
Fazit: Kein eindeutiger Vor- oder Nachteil bei beiden Systemen in der Erkennbarkeit von Undichtigkeiten.
Gibt es bei CSA Probleme mit ÜD-Technik?
Es gibt mehrere berichtete Fälle, in denen ÜD-Technik unter CSA Probleme verursacht hat.
Dabei handelt es sich i.d.R. um ein massives Ausatemproblem bei bestimmten Bewegungen (z.B. Bücken) durch blockierende Ausatemventile der ÜD-Maske. (Dem Träger ist es nicht mehr möglich, den kombinierten Druck aus Ausatemventilbelastung + CSA-Ausatemventilbelastung durch die Atemarbeit zu überwinden.). Das Problem ist zwar relativ leicht schon im Einsatz zu beheben (einfach wieder aufrichten), aber für den Träger nicht sehr angenehm. Durch die Atemblockade kann eine Paniksituation entstehen, die wiederum fatale Folgen haben kann (z.B. stolpern und herunterfallen).
Ist ÜD-Technik teurer als ND-Technik?
Ja, die Mehrkosten sind aber nicht mehr so hoch wie früher (bezogen auf „reine“ ÜD-Technik). Die Kosten können stärker steigen, wenn weitere Maßnahmen (z.B. am PA integrierte Bewegungsmelder, andere PA Tragschalen, Steckanschlüsse, HMK usw.) damit verknüpft werden. Das hat aber bis auf den Steckanschluß nichts mit der ÜD-Technik zu tun.
Gibt es durch gemischte Technik Probleme an Einsatzstellen?
Ja!
Es ist mehr als unverantwortlich, wie mit dem Thema Atemschutzlogistik bei den meisten Feuerwehren umgegangen wird. Es werden vermehrt und bedenkenlos Mischsysteme an Firmen, Geräten und Techniken gefahren. Kaum einer denkt darüber nach, wie das im gemeinsamen Wirken bei wirklich großen Schadensstellen weiter funktionieren soll…
Es gibt dann bei mehreren Feuerwehren an einem (z.B. kreiseigenen) GW-A unweigerlich Probleme entweder mit
- dem PA-Ersatz
- dem Masken-Ersatz, oder mit
- der Stückzahl je Technik (die Fahrzeuge sind nicht unendlich groß).
Wie soll ein Sicherheitstrupp (SiTr) ausgestattet werden, wenn die Frage nach Rettungs- bzw. Reserve-PA gestellt wird, um den ggf. verunfallten Trupp mit Luft versorgen zu können?
Das gleiche Problem haben noch viel mehr an einer Einsatzstelle übergreifend eingesetzte Rettungseinheiten (z.B. Schnelleinsatzteams – SET).
In einem Abschnitt sollten daher möglichst nur identische Geräte eingesetzt werden.
Ein ggf. bestehendes Schnelleinsatzteam (SET) muß notfalls mehrere Geräte als Reserve zur Verfügung haben, um im Bedarf dann das (hoffentlich!) richtige mitführen zu können.
Welche Basismaßnahmen müssen immer erfolgen (egal ob ÜD- oder ND-Technik)?
Je nach Ausgangslage muß ausreichende Feuerwehr- (z.B. Arbeitsanzug) bzw. i.d.R. spezielle Schutzkleidung (HuPF T 1 und 4 oder CSA etc.) getragen werden.
Das Vorgehen muß im Team erfolgen, die vorgehenden Einsatzkräfte müssen überwacht werden (vgl. FwDV 7).
Es sind am PA bzw. der Maske immer folgende Maßnahmen sinnvoll bzw. notwendig:
- Kurzprüfung am Gerät
- Dichtprüfung der Maske
Welche (unterlassenen) Maßnahmen gefährden die Sicherheit besonders?
Unterlassene Maskendichtprobe, z.B. indem der Lungenautomat bereits an die Maske angeschlossen wird und die Maske dann komplett entweder aufgesetzt (5-Band-Kopfspinne) oder einfach an den Helm (HMK) angeklickt wird.
Cimolino
Literaturverzeichnis
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